Margarete Stingl-Locher

Die Malerin Margarete Stingl-Locher liebt die Natur und ist ihr mit ihrem künstlerischen Œuvre bis heute treu geblieben.

In guter Tradition impressionistischer Freilichtmalerei steht sie beim Arbeiten in der Landschaft, vor dem Motiv, und besucht auch die Blumen dort, wo sie wachsen. Sie bevorzugt den erhöhten Standpunkt des Schöpferblicks und versteht es, Eindrücke von Bergen und Bäumen, Blüten und Blumen, Wind und Wetter mit spontaner, großzügiger Pinselführung in üppige Aquarellmalerei umzusetzen. Dabei geht es nicht um topographische Genauigkeit und nicht um bildhaftes Protokollieren der Vegetation, das überlässt die Malerin gerne den Fotografen und der Biologie. Wenn sich Formen auf räumlich verschiedenen Ebenen berühren und zusammenfließen, Volumen zur Fläche wird und zwischen den Motiven unbemalte Zwickel leuchten, dann ist das kein illusionistisches Abbilden, sondern das Neubilden von Natur als Bild.

Daher die Vereinfachung, die Abstraktion aufs Wesentliche, der Verzicht auf Details, die Betonung des Gesamten, und das alles mit Farbe ohne Zeichnung.

Die Farben bleiben dabei naturverbunden, lösen sich nicht, stiltypisch für expressionistisches Malen, von ihrer gegenstandsbezogenen Bedeutung. Im Umgang mit den Bildmotiven nimmt Margarete Stingl-Locher ihren subjektiven Ausdruckswillen fast ganz zurück, zwingt der Natur auf keinen Fall den eigenen Willen auf. Sie bleibt bildnerisches Medium, interpretiert nur, was sie sieht, mit Respekt zwar, aber selbstbewusst und ohne süßliche Lieblichkeit, und bewegt sich dabei gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen naturalistischer Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Madeira – Chao da Ribeira

Madeira – Chao da Ribeira, beim Malen des Bildes „Natterkopf – Stolz Madeiras“

Am eindrucksvollsten zeigt sich diese Haltung bei den Blumenbildern, die absolute Domäne dieser Malerin. Hier kann sie am unmittelbarsten ihr ganzes Können im Umgang mit der Farbe zelebrieren. Einige Blumen schießen förmlich von unten nach oben in die Hochformate, um dann demonstrativ und stolz aus dem Bildzentrum heraus ihre üppige Farbenpracht zu entfalten. Sie recken und rangeln sich dem Betrachter entgegen, machen die Blüten breiter als sie sind, und nutzen die Gelegenheit, endlich über das Medium Malerei, im wahrsten Sinne des Wortes, dauerhaft Farbe zu bekennen.
Bei solchen Bildern verschmelzen Farbe, Form und Komposition über die ästhetische Qualität hinaus zum ausdrucksstarken Symbol für die lebensbejahende Vitalität der Natur, und wir lassen uns bei so viel Pracht gerne über das Memento mori hinwegtrösten, das auch sie in sich versteckt hält.

Ernst Schneider, Maler